Aus der online-Apothekenumschau Nov 2016

Tanzen: So gesund wie Sport?

Spaß steht beim Paartanz im Vordergrund. Was die Wenigsten aber wissen: Tanzen kann das Bindegewebe trainieren und einer Demenz vorbeugen

Wer mit seinem Partner das Parkett betritt, um zu einem Walzer, Tango oder Foxtrott zu tanzen, schärft seine Aufmerksamkeit und erhöht die Konzentration. Das Gehirn läuft auf Hochtouren, um die verschiedenen Sinneseindrücke aufzunehmen und miteinander zu kombinieren. Die Ohren lauschen dem Takt der Musik, während die Füße im Rhythmus einer gelernten Schrittfolge nachgehen. Kleine Bewegungssignale mit dem Tanzpartner bilden eine körperliche Kommunikation und sorgen dafür, dass das Tanzpaar in die selbe Richtung tanzt und es nicht zu einem Zusammenstoß mit anderen Paaren kommt. Beim Tanzen werden Körper und Geist gleichzeitig aktiviert – und das kann unserer Gesundheit zugutekommen.


                                        Gegen die Demenz tanzen

Ein deutsches Forscherteam um Professor Notger Müller lieferte jüngst Hinweise darauf, dass genau diese hohen Anforderungen an unser Gehirn helfen können, einer Demenz vorzubeugen. In einer Studie prüften sie, welche Auswirkungen Tanzen auf die Gehirnleistung und das Gleichgewicht von älteren Menschen hat. Rund 60 Studienteilnehmer zwischen 65 und 80 Jahren wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: einer Tanz- und einer Aerobic-Gruppe. Sechs Monate lang trainierten sie zwei Mal pro Woche für eineinhalb Stunden. Die Tanzgruppe lernte regelmäßig neue komplexe Schritte und Figuren, während die Aerobic-Gruppe stets die gleichen Bewegungen wiederholte. Dabei beobachteten die Forscher, dass Tanzen die Bildung von neuen Nervenzellen und Nervenbindungen mehr unterstützen könnte als monotones Fitnesstraining. "Tanzen ist eine Art geistiger Nähstoff, der für die geistige Gesundheit im höheren Alter bedeutsam sein kann", sagt Musikkognitionsforscher Professor Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg.

Mit Tanzen tun wir nicht nur etwas für unseren Kopf. Paartanz bringt – neben Spaß an der Sache – auch viele weiteren gesundheitlichen Vorteile mit sich. Wer regelmäßig Tanzen geht, idealerweise wenigstens ein bis zwei Mal in der Woche, stärkt seine Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit. "Tanzen ist ein Ganzkörpertraining", betont Junior-Professorin Denise Temme, Leiterin des Instituts für Tanz und Bewegungskultur der Deutschen Sporthochschule Köln. Sie sieht sogar Vorteile gegenüber anderen Sportarten. Warum? Weil der Tanzende unterschiedliche Bewegungsformen und -qualitäten vollzieht: große und sehr kleine, schnelle, langsame, federnd-impulshafte oder geführte Bewegungen. Solche Variationen fände der Mensch laut Temme sonst nur im Turnen oder in Ballsportarten. "Turnen ist meiner Ansicht nach weniger für ältere Menschen geeignet", sagt die Junior-Professorin. "Wettkampforientierte Sportarten bergen eine vergleichsweise höhere Verletzungsgefahr. Auch ist die Gefahr einer Über- oder Fehlbelastung, beispielsweise durch einseitige Belastungen, zu berücksichtigen. Das ist beim Tanz – abgesehen von Spezialformen wie das klassische Ballett – in dem Maße nicht gegeben."


Für jeden Menschen geeignet

Wer zu Jive oder Rock'n'Roll tanzt, hält auch sein Bindegewebe leistungsfähig. Bei diesen Paartänzen stellen die schnellen und hüpfenden Bewegungen ein gutes Faszientraining dar. Das verklebte Bindegewebe um Muskeln und Organe, auch Faszien genannt, wird gelöst und die Bewegungselastizität gefördert. Wissenschaftler sehen in starren Faszien häufig die Ursache für Schmerzen. Regelmäßiges Faszientraining kann zum Beispiel Rückenschmerzen vermeiden.

Doch nicht nur das: Durch das Tanzen verbessert sich unter anderem auch die Koordination und die Konzentration und es fördert die körperliche Kommunikations- und Ausdrucksfähigkeit. Kreutz fügt hinzu: "Tanzen vertreibt sehr häufig auch Müdigkeit oder Zustände von mentaler Erschöpfung, die sich bei Stress einstellen können."
Er weist auch daraufhin, dass das Tanzen im Freizeitbereich wenig Risiken birgt, da jeder Tänzer die körperliche Beanspruchung sehr gut selbst regulieren könne. Statt großer kann man auch kleine Schritte machen, anstelle ausufernden auch zurückhaltende Bewegungen ausführen. "Es ist wichtig, dass es den Sich-Bewegenden ermöglicht wird, ein Körpergefühl dafür zu entwickeln, wann der Körper gefordert werden möchte und wann er weniger intensive Belastungen bevorzugt", fügt Temme hinzu.

Das Gute am Tanzen: Das Parkett steht jedem Menschen offen – egal welchen Alters, Gewichts oder ob geistige oder körperliche Einschränkungen vorliegen. "Selbst mit Rollatoren oder Rollstühlen kann und sollte man auch ein Parkett betreten. Menschen mit Behinderungen haben dieselben Rechte auf Teilhabe und damit auch die selben Rechte, gesundheitliche Vorteile durch kulturelle Techniken wie das Tanzen in Anspruch zu nehmen", sagt Kreutz. Übergewichtigen kann Tanzen helfen, ein anderes Verhältnis zu ihrem Körper zu entwickeln. Sie können Gelingenserfahrungen machen, da es beim Tanzen um Schrittfolgen, Bewegungsqualität und Improvisationsfähigkeit geht und nicht um das Bodystyling oder konditionelle Aspekte. Laut Temme sei das für Menschen, die als übergewichtig gelten, eine wertvolle Erfahrung.

"Das Schöne beim Tanzen ist, dass die Musik die körperliche Anstrengung maskiert. Das bedeutet, dass man auch etwas mehr aus der Komfortzone herausgeht. Das ist wichtig, denn nur wenn wir uns verausgaben, wird der Körper ausreichend stimuliert", sagt Kreutz.

Bessere Lebensqualität durch Tanzen

Auch Patienten mit Parkinson können Gesellschaftstänze ausüben und dadurch ihre motorischen Fähigkeiten verbessern. Das legte eine Studie der Washington University School of Medicine in St. Louis (USA) nahe. Die Forscher untersuchten den Effekt des Tango-Tanzens auf die motorischen Fähigkeiten von Patienten mit Parkinsonsyndrom. Die Probanden nahmen über einen Zeitraum von zehn Wochen zwei Mal wöchentlich an einem einstündigen Tanzkurs teil. Im Anschluss an die Studie stellten die Forscher positive Entwicklungen beim Gleichgewichtssinn und in den Bewegungsabläufen fest. "Für Parkinson- oder auch für Multiple Sklerose-Patienten ist es ein riesiger Vorteil, beim Tanzen einen Partner zu haben, an dem sie sich stützen können. Mit dessen Hilfe können sie Bewegungen ausführen, wie beispielsweise rückwärts gehen, die für sie alleine nicht mehr möglich wären", sagt Temme.

Eine Verbesserung der motorischen Fähigkeiten durch das Tanzen kann auch für ältere Menschen spannend sein. Sie trainieren durch die unterschiedlichen schnellen Bewegungswechsel und die Gewichtsverlagerungen von einem Bein auf das andere ihren Gleichgewichtssinn. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass ältere Frauen und Männer so ihr Sturzrisiko senken können und ihre Lebensqualität erhöhen. Allerdings sind diese Studien oft nicht sehr aussagekräftig, so dass der ausreichende wissenschaftliche Beweis fehlt.

Ein weiterer wichtiger sozialer Aspekt für ältere Menschen: Sie lernen in Tanzkursen schnell neue Leute kennen. Eine Anmeldung ist oft auch ohne Tanzpartner möglich und die Tanzlehrer achten auf ein ausgewogenes Frauen- und Männerverhältnis.

Mit Slow-Fox oder Rumba beginnen

Wer nun mit dem Paartanz anfangen möchte: Das ist in jedem Alter möglich. Tanzschulen bietet häufig spezielle Kurse für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren oder Menschen mit Behinderung an. Tanzanfänger sollten es ruhig angehen lassen. Insbesondere, wenn sie bisher wenig Sport getrieben haben. Gesellschaftstänze wie Slow-Fox oder Rumba, die ein langsames Grundtempo besitzen und wenig bis keine hüpfenden Bewegungen beinhalten, sind für Anfänger ideal. Zur Ausstattung gehören komfortable Kleidung, etwas zu Trinken und bequeme Schuhe ohne glatte Sohle. "Wichtig ist, dass die Füße sich ganz frei bewegen können. Ideal ist barfuß, damit die Füße sich gut abrollen können", sagt Temme.

Quelle: http://www.apotheken-umschau.de/Sport/Tanzen-So-gesund-wie-Sport-503769.html am 17.11.2016

 

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Gesundheit und Tanzen

spiegelonline.de

Noch bevor die Menschen schreiben konnten, tanzten sie. Die Bewegung zur Musik verleiht Kraft und Selbstbewusstsein, sagt Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg. Im Interview erklärt der Musikkognitionsforscher, warum Tanzen entspannt und wie es gegen Krankheiten hilft.



SPIEGELONLINE: Ist es gesund, zum Karneval zu gehen, zu tanzen und peinliche Lieder mitzusingen?

Kreutz: Aber klar, solange man es mit dem Alkohol nicht übertreibt. Die Menschen fiebern dem Karneval entgegen, obwohl die meisten ihn schon oft erlebt haben.
Sie gehen die fünfte Jahreszeit immer wieder mit neuer Frische an, weil das
Bedürfnis des Menschen zu feiern beinahe unerschöpflich ist - genauso wie die Energie für das Tanzen.

 

SPIEGELONLINE: Warum tanzen wir?

Kreutz: Tanzen ist viel älter, als es schriftliche Aufzeichnungen über menschliche Kulturen gibt. Es ist ein Nebenprodukt des aufrechten Gangs früher Hominiden und steckt in unseren Genen. Wahrscheinlich ist es in der Evolution so erfolgreich gewesen, weil es geholfen hat, die kognitiven Funktionen zu verbessern. Vielleicht hat sich die Menschheit nur durch den Tanz so weit entwickelt.

 

SPIEGELONLINE: Tanzen ist essentiell für die Menschheit?

Kreutz: Während der argentinischen Militärdiktatur war der Tango verboten, heute verbieten die Islamisten, wo sie an der Macht sind, Musik und Tanz. Aber solche Gesellschaften verharren im Stillstand - und langfristig hat sich noch keine Herrschaft durchgesetzt, die den Tanz verboten hat. Tanzen ist Leben.

 

SPIEGELONLINE: Welche positiven Effekte hat das Tanzen auf den einzelnen Menschen?

Kreutz: Tanzen ist erst einmal Bewegung - und Bewegung tut uns allen gut. Wir leben in einer Gesellschaft, in der viele Menschen an Übergewicht und Diabetes leiden, weil sie sich zu wenig körperlich betätigen.

 

SPIEGELONLINE: Geht die Wirkung über das schlichte Bewegen des Körpers hinaus?

Kreutz: Sicher. Das fängt schon damit an, dass es anders als beim Sport keine Trennung der G   eschlechter und der Generationen gibt. Im Gegenteil, ist es ja gerade der Sinn der Sache, dass man die Geschlechter zusammenbringt.

 

SPIEGELONLINE: Welche Rolle spielt Tanzen bei der Partnerwahl?

Kreutz: Man kann potentiellen Partner vermitteln, welche körperlichen Qualitäten man hat. Koordination, Rhythmusgefühl, Schnelligkeit, das alles sind Faktoren, die beim Tanzen eine wichtige Rolle spielen. Auch wenn man überhaupt nicht im Sinn hat, mit irgendjemand etwas anzufangen, allein darzustellen, was möglich wäre, was man drauf hat, ist doch ein wesentlicher Aspekt der persönlichen, sozialen und sexuellen Identität - und deshalb wichtig für das Selbstbewusstsein.

 

SPIEGELONLINE: Jemand, der gut tanzt, kann einem leicht
den Kopf verdrehen?

Kreutz: Zumindest haben wir in einer Studie mit Tango-Paaren
festgestellt, dass bei beiden Tanzpartnern verstärkt das Sexualhormon
Testosteron ausgeschüttet wird - welche Auswirkung das hat, können wir im
Moment noch nicht sagen. Außerdem konnten wir nachweisen, dass bei Tangotänzern
durch die Musik während des Tanzens die Konzentration des Stresshormons
Cortisol im Speichel sinkt. Ohne Musik ändert sich im Cortisolgehalt dagegen wenig.

SPIEGELONLINE: Tanzen hilft also gegen Stress?

Kreutz: Ja, sich zu Musik zu bewegen, sei es nach
Tanzschritten oder frei, wirkt entspannend und ist eine Wohltat für die Seele.

 

SPIEGELONLINE: Sie sprechen von einem klassischen Paartanz - hat das Tanzen in der Disco einen ähnlichen Effekt?

Kreutz: Die Studien, die es über die Wirkung des Tanzes auf Körper und Psyche gibt, wurden vor allem mit Paartänzern gemacht. Aber Tanzen in der Disco wirkt bestimmt ähnlich - Millionen von Discotänzern können nicht irren, wenn das Tanzen sie froh macht. Es hilft vielen Menschen, mit ihrem Alltagsstress besser umzugehen. Denn auch wenn man alleine tanzt, gibt einem
die Bewegung im Rhythmus eine fast schon familiäre Geborgenheit. Paartänze und  Volkstänze fordern mehr den Geist, weil die Bewegungen ja geplant sind, anders  als beim freien Tanzen.

 

SPIEGEONLINE: Hat das Tanzen auch einen langfristigen Effekt auf die Gesundheit?

Kreutz: In einer großen epidemiologischen Studie konnte gezeigt werden, dass Paartanzen das Demenzrisiko reduziert - und zwar um 76 Prozent, und damit weitaus besser wirkt als Kreuzworträtsellösen, 47 Prozent, und Lesen, 35 Prozent. Wir wissen, dass musizierende Kinder, ihre verbale Merkfähigkeit verbessern. Dieser positive Effekt gilt auch für Erwachsene.
Anscheinend ist das Tanzen eine so komplexe Angelegenheit, das Motorik, Aufmerksamkeit, Langzeitgedächtnis und Kurzzeitgedächtnis beansprucht. Es wird weit unterschätzt, wie viel Hirnkapazität das gemeinsame Tanzen in Anspruch nimmt.

SPIEGELONLINE: Kann Tanzen auch heilsam sein?

Kreutz: In einer aktuellen Studie wird von einer Patientin mit Multipler Sklerose berichtet, die nach einer fünfmonatigen Tanztherapie tatsächlich auf eine von zwei Gehilfen verzichten konnte. Bei
Parkinson-Patienten konnte nachgewiesen werden, dass durch angeleitetes Tanzen sehr starke Verbesserung in ihrer Mobilität erreicht werden konnte. Das sind äußerst eindrucksvolle Hinweise auf quasi pharmakologische Wirkungen von Musik und Tanz.

 

SPIEGELONLINE: Wie kann das Tanzen das bewirken?

Kreutz: Vor allem über die Psyche. In Therapien will man erreichen, dass sich die Menschen etwa

etwa von ihrem schlechten Befinden distanzieren. Es ist sehr positiv für das Selbstbild, wenn ich als Patient merke: Ja, ich habe noch etwas unter Kontrolle und: Ich habe schöne Empfindungen. Man geht davon aus, dass der Puls in der Musik die Menschen antreibt, auch wenn die Motorik sonst durch Erkrankungen stark gestört ist. Medikamente und Operationen mögen die physische Ursache eines Problems bekämpfen - sie reichen allein bei weitem nicht aus, um Menschen Wohlbefinden
und Lebensqualität zu verschaffen.



 

SPIEGELONLINE: Wann sollte man anfangen zu tanzen?

Kreutz: Wenn irgend möglich, schon als Kind. Wir haben das Problem, dass Kinder, die sich früh wenig bewegen und sich falsch ernähren, ihr Leben lang ihr Übergewicht kaum mehr in den Griff bekommen. Wir konnten außerdem in einer Studie zeigen, dass tanzende Grundschüler weniger aggressiv eingestellt sind als Mitschüler, die nicht tanzen. Es wäre dringend angezeigt, in den Schulen das Tanzen zu lehren, weil Kinder davon körperlich und seelisch sehr stark profitieren. Also am besten für die Gesundheit ist, sich früh im Leben mit dem Tanzvirus anstecken - und dann ein Leben lang damit infiziert zu bleiben. Es ist nie zu spät, damit anzufangen.

 

führte Frederik Jötten